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Multi-Kulti in der Mutterstadt - Teil 1

| Giovanna Galati | Aktuelles
berlin1Anfang April ist unser Kurs zu Ende, doch vorher wollen wir unsere Traumreise verwirklichen: Mit unseren Dozentinnen auf einen Tagesausflug nach Berlin. Diese geschichtsträchtige Stadt besichtigen. Als Touristen, neugierig und gespannt. Gemeinsam staunen, entdecken, fragen.

Einige von uns waren schon in Berlin, doch nie als Touristen. Zu Besuch bei Verwandten, zur Demo für Menschenrechte vor dem Reichstag. Doch was Berlin als Stadt, als Zentrum der Politik und Geschichte für Deutschland bedeutet, das wissen wir nicht. Das möchten wir gerne erfahren.

Wir, die Deutschlerner und -lernerinnen

Wir, das ist eine Gruppe von Menschen aus verschiedenen Ländern, die an einem Kurs zur berufsbezogenen Sprachförderung in Deutsch teilnahmen. Knapp acht Monate - von Mitte August letzten Jahres bis Anfang April 2014.
 
Wir, das sind Menschen aus dem Irak, aus Syrien, der Elfenbeinküste, dem Sudan, Afghanistan, der Türkei, Kasachstan, dem Kosovo. Vier Frauen und sechzehn Männer. Der jüngste ist 22 Jahre alt, der älteste 59. Einige sind erst ein, zwei Jahre in Deutschland. Andere schon seit über einem Jahrzehnt. Einige von uns haben eine Familie und Kinder, andere sind ganz allein hier. Wir sind Muslime, Christen, Yeziden.

Wir sprechen Arabisch, Kurdisch, Türkisch, Dhari, Pashtu, Französisch, Englisch, Russisch, Baoulé und Djoulá. Wir sind hier mit unserer Lebensgeschichte, unserer Lebens- und Arbeitserfahrung, unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die meisten von uns haben in ihrem Heimatland schon als Kinder begonnen, zu arbeiten. Wir wissen, was es bedeutet, für uns und unsere Familien zu sorgen.

Doch wir können uns nur schwer mitteilen, weil wir die deutsche Sprache nicht gut genug beherrschen. Deshalb lernen wir in diesem Kurs, um kommunizieren zu können, teilzuhaben an dieser Gesellschaft. Wir wollen zeigen, was wir können und uns nicht vor unseren Kindern schämen zu müssen, die hier die Schule besuchen und die Sprache ganz selbstverständlich beherrschen.

Deutsch ist eine schwierige Aufgabe

berlin3Das Zusammenarbeiten von Montag bis Freitag, jeweils fünf Unterrichtsstunden, war eine richtige Herausforderung, die wir, gemeinsam mit unseren Dozentinnen Giovanna und Yvonne sehr gut gemeistert haben. Dabei hat es an Konfliktsituationen, Diskussionen, Missverständnissen nicht gefehlt. Doch wir sind in dem halben Jahr unserer Zusammenarbeit gut zusammengewachsen und haben uns fast als Familie gefühlt.

Deutsch zu lernen ist eine schwierige Aufgabe, der wir uns gestellt haben. Es ist ja nicht nur die Grammatik, die Artikel, der Nominativ, Akkusativ, Dativ, der Wortschatz. Für einige von uns ist es auch die Schrift, die wir lernen müssen, weil wir in unserem Land nie die Schule besucht haben, oder unsere Sprache andere Schriftzeichen verwendet.

Wir üben lesen, schreiben, sprechen und verstehen, damit wir unseren Alltag in Deutschland selbständig bewältigen und unsere Rechte und Pflichten wahrnehmen können. Wir lernen viel über das Leben in diesem Land, diskutieren über viele Themen, führen Exkursionen und Betriebsbesichtigungen durch und absolvieren ein zehnwöchiges Praktikum in ortsansässigen Betrieben.

Unsere Traumreise wird geplant

Gegen Ende unserer gemeinsamen Zeit ist im Unterricht der Wunsch nach einem krönenden Abschluss entstanden: Eine Tagestour nach Berlin! Wir wollen zusammen die Hauptstadt des Landes entdecken, in dem wir nun leben. Der eine besser, der andere schlechter. Mit oder ohne Hoffnung und mit vielen Ungewissheiten auf das, was die Zukunft uns bringt.

Zuerst jedoch heißt es ganz konkret, die Fahrt zu planen. Wann wollen wir fahren? Wer kommt alles mit? Wie fahren wir? Mit dem Bus? Mit dem Zug? Wie hoch werden die Kosten? Wie können wir die Reise finanzieren? Der Termin ist schnell gefunden. Am Donnerstag, den 27. März 2014 soll es nach Berlin gehen.

Insgesamt werden wir 20 Personen sein, die Dozentinnen inbegriffen, da aus Krankheitsgründen nicht alle Teilnehmer mitfahren können. Nach einigen Recherchen stellen wir fest, dass es sich für einen Tagesausflug nur lohnt, wenn wir mit dem Zug von Hannover nach Berlin fahren: die Fahrtzeit beträgt zwei Stunden und wir sind dann sofort im Zentrum des Geschehens.

Kuchen für Berlin

Jetzt geht es darum, den Fahrpreis zusammen zu bekommen. In unserer gut eingespielten Gruppe herrscht Vertrauen: Jede(r) möchte zum Gelingen unserer Traumreise beitragen. Daher wird abgestimmt, dass jeder so viel beisteuert, wie er leisten kann. Wir schaffen ein großes Sparschwein an, das mit der Aufschrift „Ich bin das Berlin-Schwein, ich habe Hunger!“ versehen wird. Es wird jeden Tag gefüttert.

berlin4Eine große Aktion soll noch etwas Geld bringen: Ein Kuchenbasar. Wir verkaufen selbstgebackenen Kuchen, Kaffee und Tee an alle Teilnehmer der anderen Deutschkurse, an DozentInnen und Mitarbeiter. Mit dem Erlös bekommt unser Berlin-Schwein weiteres Futter.

Der Kuchenbasar wird ein voller Erfolg: unser Unterrichtsraum wird zu einem gemütlichen Café mit geschmückten Tischen und einem reichhaltigen Kuchenbüffet. An der Tafel prangt eine bunte Aufschrift: „Herzlich willkommen, Berlin!“

Die Bilanz stimmt nicht ganz. Aber Hilfe naht...

Die leckeren Kuchen und Torten, von uns Teilnehmern selbst gebacken oder von großzügigen Spenderinnen gestiftet sind, werden von unseren fleißigen und freundlichen Teilnehmern an die Gäste verkauft. Die Stimmung ist ausgelassen. Bereitwillig schwärmen wir von unserem Plan, nach Berlin zu fahren.

Unser Engagement wird mit viel Lob und großzügigem Trinkgeld honoriert. Nachdem die leeren Tabletts weggeräumt, das Geschirr gespült und die Tische sauber sind, folgt der Höhepunkt: der Kassensturz. Wir können stolz auf unseren Erfolg sein, doch reicht der Betrag nicht aus, um die Kosten für das Gruppenticket für 20 Personen mit der Bahn zu bestreiten.

Die STRATMANN STIFTUNG ist der Retter in der Not. Mit ihrer Unterstützung kann unser Projekt jetzt realisiert werden. Dankbar, beschämt und glücklich nehmen wir die Hilfe an.

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