„Die Familien kommen einfach zu uns“
Nach Beginn des Krieges in der Ukraine mussten viele Einheimische ihr Land verlassen. Als Flüchtlingsfamilien kommen sie in Hannover an und suchen Halt und Orientierung, auch bei den Schulen.
Wir sprechen über die Lage vor Ort mit Alexandra Vanin-Andresen, Schulleiterin der Otfried-Preußler-Grundschule Hannover und Anja zum Bild, verantwortlich für die Schulsozialarbeit an der OPGS.
Wie kommen die Flüchtlingskinder zur Otfried-Preußler-Schule – über eine zentrale Verteilstelle?
Alexandra Vanin-Andresen: Nein, es gibt keine Verteilstelle. Die Familien kommen einfach zu uns, weil sie im Bekanntenkreis davon gehört haben. Sie fragen zumeist in mehreren Schulen an, ob ihre Kinder Aufnahme finden können. Es gibt aber leider auch die Fälle, bei denen die Eltern ihre Kinder nicht anmelden. Die Kinder bleiben dann unbeschult.
Hat Ihre Schule die Obergrenze zur Aufnahme von geflüchteten Kindern erreicht?
Alexandra Vanin-Andresen: Die Zahlen ändern sich häufig. An unserer Schule befinden sich aktuell 24 Flüchtlingskinder, davon sind zwölf aus der Ukraine. Nach der langen Corona-Zeit kommen die Flüchtlingsfamilien seit dem Frühjahr zu uns. Wir können uns in der Südstadt vergleichsweise wenig beklagen, vergleicht man die Situation mit anderen Stadtteilen wie Stöcken, Ledeburg oder Vahrenheide. Deshalb können wir noch ein paar Kinder aufnehmen. Die Kolleginnen signalisieren aber auch, dass die Klassen voll sind und sie deutlich mehr zu tun haben als früher.
Gibt es in Ihrem Kollegium Lehrer mit ukrainischen oder russischen Sprachkenntnissen?
Alexandra Vanin-Andresen: Wir bieten keine schulinternen Sprachlernklassen an, da wir ein inklusives Konzept an der Schule umsetzen. Wir haben uns gegen das Sprachfördermodell entschieden, weil wir die Flüchtlingskinder nicht als Fremdsprachler abgrenzen wollen. Sie würden in einer separaten Lerngruppe, in der alle die gleiche Sprache sprechen, weiterhin in ihrer Sprache verbleiben. Bei uns gehen die Kinder in die jeweilige Jahrgangsklasse und werden fest in den Klassenverbund und den Zuständigkeitsbereich eines Klassenlehrers integriert. Die jahrgangsgemischte Sprachförderung findet in ausgewählten Gruppen parallel täglich vormittags statt.
Anja zum Bild: Dankenswerterweise hilft uns die Nina-Dieckmann-Stiftung in diesem Bereich mit zwei pädagogischen Mitarbeiterinnen für den Unterricht. Wir setzen darüber hinaus auch auszubildende Erzieherinnen oder Mitarbeiterinnen unseres Kooperationspartners TKH ein. Die Integration bindet sehr viel Personal.
Wir können jedem Kind mit mindestens zwei Stunden pro Tag speziell beim Erlernen der deutschen Sprache helfen. Dabei werden die Kinder mit großen Lernproblemen genauso sichtbar wie die Überflieger, die man nach wenigen Wochen schon wieder aus der Sprachförderung rausnehmen könnte, weil sie so gut geworden sind. Die Kolleginnen in der Ganztags-Koordination leisten unbeschreiblich gute Arbeit, weil sie sich auch um die Sorgen der Mütter kümmern.
Das ist zusätzlich eine große Herausforderung, oder?
Anja zum Bild: Uns war es ganz besonders wichtig, die Mütter von Anfang an einzubinden. Anfangs haben wir ein paar Treffen in der Schule organisiert um uns näher kennenzulernen. Später sind wir gemeinsam in den Zoo Hannover gegangen, als Gruppenausflug. Das hat enorm geholfen, ins Gespräch zu kommen. Wir konnten uns mit Übersetzungen ins Englische verständigen.
Die Lage der Mütter ist sehr unterschiedlich. Manche sind zuversichtlich, dass sie die Situation meistern werden. Sie haben Kontakt zu ihren Männern und das Kind ist lernwillig. Es gibt aber auch Fälle, wo die Mutter seit drei Monaten nichts vom Vater gehört hat und sie nicht weiß, wie es weiter gehen soll.
Alexandra Vanin-Andresen: Wir haben daraufhin auch einen Sprachförderkurs für die Mütter eingerichtet, da sie häufig nicht die Mittel dafür übrighaben. Einer unserer Kollegen, der schon lange in Deutschland lebt und ukrainischer Muttersprachler ist, hat sich der Sache angenommen. Wir sehen, dass die Mütter sehr lernwillig sind und große Bereitschaft zeigen, sich zu integrieren. Wir helfen den Müttern auch bei Fragen zu Behördengängen und klären ab, was sie wo beantragen können.
Trotz der andauernden Kampfhandlungen wollen einige Flüchtlingsfamilien zurück in ihre Heimat. Trifft das auch auf Familien Ihrer ukrainischen Kinder zu?
Alexandra Vanin-Andresen: Das ist sehr verschieden auch vor dem Hintergrund der Sozialstruktur der Flüchtlinge. Es ist ein starkes Gefälle zu beobachten. Wer in der Ukraine schon gut integriert und situiert war, kann es sich auch leisten wieder zurück zu gehen. Die Familien, die keine starken Bindungen im Heimatland aufbauen konnten, werden hier ihre Chancen suchen und vielleicht gelingt einigen Kindern der Sprung an eine Universität.
Die Kinder, die dann bei uns ankommen, haben selbst ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Es sind teilweise traumatisierte Kinder dabei, einige verfügen über Behinderungen und manche bekommen vom Drumherum fast nichts mit und wollen zielstrebig lernen. Sie wurden teilweise in Leistungssportzentren ausgebildet oder haben bereits Internate besucht. Wir versuchen diese Vielfalt bestmöglich in den Schulalltag einzubinden.
Anja zum Bild: Ich denke, bevor die Flüchtlingsfamilien darüber entscheiden, ob sie wieder zurückkehren, ist es unsere Aufgabe sie hier auch außerschulisch aufzufangen. Zum Beispiel organisieren wir für sie die Möglichkeit, den Sommer mit dem AktivPass zu verbringen. Die Kinder können damit die Feriencard kostenfrei beziehen und an über 500 Tages- und Wochenaktionen in und um Hannover teilnehmen. Die Karte bietet freien Eintritt in städtische Bäder und enthält viele Eintritt-Vergünstigungen in Freizeit- und Naturparks sowie Sportanlagen.
So bieten Sie Orientierung für die Flüchtlingsfamilien sowohl in der Schule als auch darüber hinaus?
Anja zum Bild: Ja, die Verbindung von beidem ist der Schlüssel. Lernen ist mehr als das ABC und die Zahlen. Es gehört auch die soziale Anbindung dazu, die über die Schule hinaus geht. Sport und Freizeitaktivitäten sind im Sommer wichtig für die Flüchtlingsfamilien, die so viel durchstehen mussten. Der Kopf muss wieder frei werden.
Alexandra Vanin-Andresen: Das ist das Besondere an unserer Schule. Wir geben allen Kindern unabhängig von ihren Voraussetzungen die Möglichkeit sich zu entfalten. Das Leben soll dabei auch in Sportvereinen und außerschulischen Aktivitäten stattfinden. Die Schule ist keine Insel. Mit diesem Gedanken gehen wir auch auf die Flüchtlingsfamilien zu und suchen nach den besten Möglichkeiten für ihre jeweilige Situation.
Auf der Schul-Website werden entlang des Ukraine-Krieges umfangreiche Unterstützung für Lehrer und Schüler angeboten. Werden diese Angebote angenommen?
Alexandra Vanin-Andresen: Ja, die Angebote werden angenommen. Wir bieten Programme in den Bereichen Supervision, Coaching sowie auch Yoga-Kurse an und sehen eine rege Nachfrage. Uns ist es wichtig, dass wir im schulischen Tag Orte herstellen, in denen sich alle auf einer anderen Ebene finden können als der Fachlichkeit.
Darüber hinaus ist es uns länger schon ein großes Anliegen eine Produktionsküche in der Schule einzurichten. Der aktuelle Versorgungsprozess könnte deutlich nachhaltiger hier vor Ort gestaltet werden. Wir würden dafür einen großen Teil des Geldes einlegen, welches wir als Sieger des Deutschen Schulpreis 2020 erhalten haben. Wir sind in Gesprächen mit dem Schulträger und werden das Thema Schulküche im nächsten Jahr mit einigen Aktionen bewerben.
Wir wünschen ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung Ihrer Vorhaben und bedanken uns für das gemeinsame Gespräch!
[Anm. d. Red.: Der Rotary Club Hannover-Leineschloss und die STRATMANN STIFTUNG haben der OPGS im April und im Juni 2022 jeweils 2.000 Euro für die Arbeit mit Flüchtlingskindern gespendet. Das Gespräch führten Michael Stratmann und Kay Bartelt.]